Schwangere möchten ihr Kind in der Regel so unkompliziert, schmerzarm und natürlich wie möglich zur Welt bringen. Das Konzept der sanften Geburt soll diesem Wunsch so gut es geht gerecht werden.
Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts circa 3% aller Frauen im Krankenhaus entbunden haben, waren es in den 1980er Jahren 99%. Im Laufe eines Jahrhunderts war Gebären also zunehmend „medizinisch“ geworden. Dies minimierte zwar die Risiken für Mutter und Kind, allerdings erlebten Frauen die Geburt nun als unpersönlich und fremdbestimmt. Anstatt der Einzigartigkeit eines jeden Geburtsvorgangs Rechnung zu tragen, galt es, den wirtschaftlichen Ansprüchen und medizinischen Standards der Krankenhäuser gerecht zu werden. Dieser Umstand wurde in den 1960er Jahren sowohl von GeburtshelferInnen als auch den Frauen selbst scharf kritisiert. Dies führte zu einem grundlegenden Umdenken. Erste Forderungen nach einer so genannten sanften Geburt wurden laut, bei der die Bedürfnisse von Gebärenden und Neugeborenen wieder im Mittelpunkt stehen sollten.
Der Erfinder der sanften Geburt
Die Idee der sanften Geburt geht auf den französischen Gynäkologen Frédérick Leboyer zurück, der sein Hauptaugenmerk auf das Wohlergehen des Neugeborenen legte, das so stressfrei wie möglich auf die Welt kommen sollte. Als Grundvoraussetzung für eine möglichst entspannte Atmosphäre während der Geburt erkannte er die gute emotionale Verfassung der werdenden Mutter. Frauen sollten demnach möglichst selbstbestimmt gebären, also in ihrem individuellen Rhythmus und in der von ihnen bevorzugten Position. Auch den sofortigen Körperkontakt zwischen Mutter und Kind nach der Geburt erachtete Leboyer als wesentliche Grundvoraussetzung für die Entstehung einer intensiven Bindung. Insgesamt hat das Konzept der sanften Geburt einen nachhaltigen Sinneswandel in der Geburtshilfe der Industrieländer herbeigeführt.
Was bedeutet eine sanfte Geburt heute?
Um Stress und Angst während der Geburt weitgehend zu vermeiden, legen Krankenhäuser großen Wert auf eine möglichst beruhigende Atmosphäre in den Kreißsälen. Konkret bedeutet das, alles Medizinische so gut es geht zu verbergen, um nur im Notfall darauf zurückzugreifen. Weiters wird das Neugeborene der Mutter unmittelbar nach der Geburt auf den Bauch gelegt, um ihre Wärme zu spüren und sich so von den Strapazen der Geburt zu erholen. Die Nabelschnur wird nicht sofort durchtrennt, sondern darf auspulsieren, um dem Baby die Umstellung auf das eigenständige Atmen zu erleichtern. Mutter und Kind haben nun reichlich Zeit, einander kennenzulernen. Die beiden sollen in den ersten Stunden nach der Geburt möglichst viel Hautkontakt miteinander haben (Bonding). Zudem werden Schwangere im Vorfeld zu ihren Wünschen und Ängsten befragt, um die Geburt soweit als möglich nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Welche Möglichkeiten zur sanften Geburt gibt es?
Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, um die sanfte Geburt auch tatsächlich zu erleben. Mit dem Erlernen der entsprechenden Entspannungstechniken wird schon während der Schwangerschaft begonnen.
Hausgeburt
Das Sinnbild der sanften Geburt wird aus Angst vor Komplikationen oft kritisiert. Daher die gute Nachricht gleich vorweg: Bei entsprechender Vorbereitung kommt es laut Statistik nur sehr selten zu unvorhersehbaren Komplikationen während der Geburt. Und selbst wenn sich der Verlauf plötzlich kompliziert gestalten sollte, ist in der Regel ein Krankenhaus in der Nähe. Gegen eine Hausgeburt sprechen unter anderem Mehrlingsschwangerschaften, Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck oder eine ungünstige Position des Kindes wie zum Beispiel die Beckenendlage. In der Regel prüfen sowohl Ärzte als auch Hebammen im Vorfeld sehr genau, ob eine Hausgeburt stattfinden kann, ohne dabei Mutter und Kind zu gefährden.
Frauen, die sich eine Hausgeburt wünschen, gehen davon aus, dass die Geburt in der gewohnten Umgebung für sie und das Neugeborene entspannter verlaufen kann, als in einer Klinik. Zudem hat die Gebärende die Möglichkeit, sich unbefangen zu bewegen, wenn sie das möchte. Auch der Aspekt, die Geburt nicht getrennt von anderen Familienmitgliedern durchmachen zu müssen, erscheint vielen werdenden Müttern reizvoll. Neben Hebammen dürfen übrigens auch Doulas Hausgeburten begleiten.
Wassergeburt
In warmem Wasser lassen sich Wehen sowohl in der Eröffnungs- als auch der Austreibungsphase leichter ertragen, wodurch wiederum die Möglichkeit besteht, die Dauer der Geburt zu verkürzen. Auch ein Dammriss kommt bei Wassergeburten seltener vor, weil sich das Gewebe durch die Wärme besser lockern kann. Aufgrund der Infektionsgefahr darf ein Dammschnitt ohnehin nicht durchgeführt werden. Wer eine Wassergeburt zu Hause erleben möchte, kann die eigene Badewanne nutzen oder eine Gebärwanne mieten.
Hypnobirthing
Angst führt zu Anspannung. Anspannung führt zu Schmerzen. Schmerzen führen zu noch mehr Angst und so weiter… Diesen Teufelskreis möchte man beim Hypnobirthing durch einen tranceähnlichen Zustand durchbrechen. Die Gebärende ruft durch Techniken den Zustand selbst hervor, die sie in einem entsprechenden Kurs während der Schwangerschaft gelernt hat. Dazu zählen Atemtechniken, Berührungsmassagen durch den Partner und progressive Muskelentspannung. Ziel ist die Bewältigung der Angst vor der Geburt und Selbstbestimmtheit während des Gebärens.
Geburts-Yoga
Auch Yoga kann helfen. Speziellen Yoga-Übungen während der Schwangerschaft können während der Geburt zum Einsatz kommen. Dies soll den Verlauf der Geburt für Mutter und Kind erleichtern. Dazu zählen neben Atemübungen und Tönen gebärfreundliche Positionen wie der Unterarmstand, die Stellung des Kindes, die Katze oder die (Links-)Seitenlage. Wichtig ist hierbei, die Übungen während der Schwangerschaft regelmäßig zu wiederholen, um sie während der Geburt sicher anwenden zu können.
Haptonomie
Ziel der Haptonomie ist es, durch Berührung ab der 24. Schwangerschaftswoche in einen intensiven Kontakt mit dem Baby zu treten. In den folgenden sieben bis acht Sitzungen leitet ein haptonomischer Begleiter die Eltern an, sich durch spezielle Handgriffe auf das Ungeborene einzulassen und so eine intensive Bindung zu ihm aufzubauen. Die Mutter lernt darüber hinaus, auch während der Geburtswehen den Kontakt zu ihrem Baby nicht zu verlieren, sondern es emotional intensiv zu begleiten und so dessen Strapazen zu minimieren. Das Gewebe soll durch die haptonomische Begleitung während der Schwangerschaft elastisch werden. Dadurch lassen sich die Wehen ohne Medikamente ertragen und der Geburtsverlauf gestaltet sich kürzer und leichter.
Akupunktur
Die Akupunktur ist eine Behandlungsmethode der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Sie geht davon aus, dass die Lebensenergie des Körpers (Qui) entlang von Leitungsbahnen (Meridianen) fließt. Krankheiten oder Beschwerden entstehen durch einen fehlerhaften oder suboptimalen Fluss des Qui. Durch Nadelstiche soll die Lebensenergie wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Dadurch werden Heilung und andere wünschenswerte Effekte erzielt. Zur Geburtsvorbereitung bieten manche Hebammen Akupunktur ab der 32. Schwangerschaftswoche an. Ziel ist, die Angst vor der Geburt oder Beschwerden wie Sodbrennen zu lindern. Auch die Reifung des Gebärmutterhalses vor der Entbindung kann gefördert werden. Während der Geburt stimuliert man Akupunkturpunkte, die Schmerzen lindern sollen und dadurch den Verlauf der Geburt verkürzen.
Fazit: Hauptsache entspannt!
Zusammenfassend zeichnet sich die sanfte Geburt durch eine möglichst stressfreie Atmosphäre für Mutter und Kind aus. Statt Schmerzmitteln kommen Entspannungsverfahren zum Einsatz. Diese lernen die Frauen bereits während der Schwangerschaft. Den Geburtsverlauf sowie die Gebärposition bestimmt die werdende Mutter selbst. Das macht jede Geburt mindestens so einzigartig, wie das Neugeborene selbst.
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